16.4.2004 EISSPORT-MAGAZIN: Leserbrief von U.Giesen (Neusser-SK) über die skandalöse WM-TV-Berichterstattung. ARD & ZDF trotzten den Zuschauerwünschen mit Ignoranz und zeigten nur sog. "Late-Night-Shows" für die nicht-arbeitende Bevölkerung, für Arbeitslose und Rentner - Sport-interessierte Jugendliche und die arbeitende Bevölkerung waren ausgeschlossen.
Im Anschluss an den Leserbrief können Sie auch die Antwort der ARD hierzu lesen.
Leserbrief im EISSPORT-MAGAZIN 4/2004 (April-2004):
Pünktlich um 14:15 Uhr wurde am Sonntag dem 28.3.2004 mit der Schlussfeier und dem Schaulauf-Höhepunkt die Weltmeisterschaft im Eiskunstlaufen in einem 3-stündigen Show-Programm der Superlative, in der mit 10.000 Zuschauern ausverkauften Dortmunder Westfalenhalle beendet. Pünktlichkeit musste sein, denn 24 Fernsehstationen auf der ganzen Welt wollten „live“ mit dabei sein.
Nur das deutsche Fernsehpublikum wurde wieder betrogen, hier begann erst um 15:30 Uhr eine Zusammenfassung im ZDF, die dann sogar noch in den ZDF-Programmankündigungen als "Live"-Übertragung dem deutschen Publikum offeriert wurde.
Als Deutscher kann man sich freuen, wenn man ca. alle 20 Jahre eine Eiskunstlauf-Weltmeisterschaft im eigenen Land hat, nach 1964 und 1980 freuten sich daher viele, dass es auch in 2004 wieder eine WM in Deutschland gab. Nur die Programmgestalter der öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten straften das interessierte Sportpublikum mit Ignoranz ab und machten aus der Eiskunstlauf-Weltmeisterschaft in Dortmund eine Late-Night-Show für die nicht-arbeitende Bevölkerung.
Über das "Übertragungs-Verhalten" der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten konnte man sich nicht nur arg wundern – sondern richtig entrüsten: Die meisten Übertragungen in ARD und ZDF fanden nur nach Mitternacht statt, anscheinend ist Eiskunstlaufen in Deutschland nach Meinung der Fernsehgewaltigen nur noch für Arbeitslose und Rentner von Interesse, denn Sport-interessierte Jugendliche und die arbeitende Bevölkerung müssten ja eigentlich um diese Uhrzeit schon längst schlafen.
Hier saß diesmal keiner in der „ersten Reihe“ und auch „mit dem Zweiten sah man nicht besser“, man musste das Bezahl-Fernsehen Premiere haben, um die Eröffnungsfeier überhaupt sehen zu können. Nur auf dem Spartensender Eurosport konnte man etwas von den Wettbewerben mitbekommen.
Wenn TV-Berichterstattungen aus Australien, China, Mexiko und Japan erst um Mitternacht stattfinden - dann hat man dafür Verständnis, denn das ist dann "live". Wenn aber TV-Berichterstattungen aus Dortmund erst um Mitternacht erfolgen - dann ist das schlichte Ignoranz!
Zwar setzte der für die weltweite TV-Übertragung federführende WDR über 90 Mitarbeiter zur Programmproduktion in Dortmund ein, die dann teuer an Fernsehstationen auf der ganzen Welt verkauft wurden - Live-Übertragungen zur sog. "Prime-Time" am Abend gab es jedoch in Deutschland nicht bei ARD und ZDF. „Kostenbewusstsein“ kann das Handeln von ARD & ZDF auch nicht rechtfertigen, denn es fehlte nur die Ausstrahlung der ja sowieso produzierten Berichte.
Als 1964 noch Marika Kilius + Hansjürgen Bäumler sowie Manfred Schnelldörfer in der Dortmunder Westfalenhalle zum Wettkampf antraten gab es noch volle TV-Berichterstattung (Übrigens: es gab damals eigentlich nur einen einzigen Fernsehsender, die ARD - das ZDF hatte zwar schon in 1963 den Betrieb aufgenommen, hier gab es aber damals nur tägliche Minimalsendezeiten). Damals wurde noch über Eiskunstlaufen aktuell im Fernsehen berichtet und es wurden selbst Berichte über die damals noch vorgeschriebenen und TV-untauglichen Pflicht-Wettbewerbe gebracht. Heute, 44 Jahre später, mit über 20 konkurrierenden, TV-Sendern in Deutschland, mit einem monotonen, gegenseitig abgekupferten Einheitsprogrammangebot, die ja alle das Geld von uns Zuschauern kosten (gleichgültig ob durch die „GEZ-Steuer“ oder die Werbekostenaufschläge bei gewissen, beworbenen Produkten, quasi einer marktwirtschaftlichen „TV-Mehrwertsteuer“ für die privaten Sender) - gibt es nur noch Mitternachts-Berichterstattungen.
Eine weitere Unverschämtheit, die Deutsche Eislauf-Union hatte als Veranstalter extra Pressetribünen für die schreibende Presse und für Rundfunk- und Fernsehkommentatoren mit bester Platzierung in der Westfalenhalle reserviert – die aber leider fast nicht genutzt wurden. Wenn es einmal bei den spärlichen TV-Berichten einen Kameraschwenk durch die meist ausverkaufte Westfalenhalle gab, sah man oft auch diese leeren Plätze, nämlich die nicht genutzte Pressetribüne. So hat die Presse auch noch für ein schlechtes Image auf der Welt gesorgt, denn woher soll jemand in Süd-Afrika, in China, in Australien oder Kanada ahnen, dass es hier nicht mangelndes deutsches Publikumsinteresse ist, warum diese Plätze frei blieben, sondern nur die Ignoranz der deutschen Presse.
Die TV-Berichterstattung war – gelinde gesagt – eine Unverschämtheit:
§ Schon der Auftakt der Eiskunstlauf-Weltmeisterschaften in Dortmund war erst als Mitternachts-Zusammenfassung in der ARD in den Programmheften angekündigt. Statt jedoch die Eröffnungsfeier und die ersten Wettbewerbe zu zeigen, wurden 20 Jahre alte Hüpf-Versuche in wackliger Schmalfilm-Qualität als Werbung für die geschäftstüchtige Katarina Witt gezeigt - wohl weil der verantwortliche ARD-Reporter Jürgen Emig die Rundungen der Playboy-Titelblattgröße Katarina Witt für publikumswirksamer als eine aktuelle Berichterstattung hielt.
§ Der am ersten WM-Tag noch in Amt und Würden waltende Sportchef des Hessischen Rundfunks, Jürgen Emig, laberte als verantwortlicher Reporter dieser Sendung fast die gesamte Zeit nur dumm über den Eislaufsport, statt aktuell von der WM zu berichten. Glücklicherweise wurde Herrn Emig dann am folgenden Tag der Rücktritt nahe gelegt – allerdings nicht wegen der Eislauf-WM-Berichterstattung (was ja schon eigentlich Grund genug gewesen wäre), sondern wegen eines 15,34 Mill. Euro teuren Finanzskandals beim Hessischen Rundfunk. Offiz. Begründung von Herrn Emig bei seinem Rücktritt: „er wollte Schaden von HR und ARD abwenden“. Über den Schaden, den er dem Sport-interessierten Publikum zugefügt hat, spricht keiner.
§ Nachdem der für die WM zuständige WDR - und zwar nicht einmal auf dem offiziellen ARD-Dienstweg, sondern über eine Nachrichtenagentur - wie man in der FAZ nachlesen konnte - am Dienstag dann von Jürgen Emigs Ausscheiden bzw. Rausschmiss als Sportchef des HR erfahren hatte, wurde der Eislauf-WM-Chefmoderator flugs ausgewechselt: Claus Lufen stand nun bei der nächsten Übertragung an der Seite von Katarina Witt, die von der ARD als Co-Moderatorin verpflichtet worden war. Aber leider wurde die TV-Berichterstattung nicht besser – denn eine flexible Anpassung der Programmgestaltung und der Berichterstattung nach Publikumsinteresse – hat man bei der bürokratischen ARD anscheinend nicht mehr im Portefeuille.
§ Interessant: Die ARD wurde dann auch noch mit einer ansprechenden Einschaltquote für diese mitternächtliche Sendezeit 0:07 - 0:52 Uhr „belohnt“: Diesen 45 Minuten langen Bericht sahen bundesweit durchschnittlich 830.000 Zuschauer - dies entspricht einem Marktanteil von 14,2% (Übrigens „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ bei RTL um 19:40 Uhr an diesem 22.3. hatte im Vergleich 16% Einschaltquote, nach Media-Control).
§ Wer spricht hier eigentlich davon, dass Eiskunstlaufen in Deutschland eine nicht berichtenswerte Randsportart ist? Im Monatsdurchschnitt März hatte die ARD nur eine Einschaltquote von 13,7% und das z.Tl. weil am 22.3. nachts um 0:30 Uhr noch 14,2% die Eröffnung der Eiskunstlauf-WM sehen wollten.
§ Nach Angaben der GfK sahen am Mittwoch schon 1,15 Millionen Zuschauer die Aufzeichnung des Wettbewerbes "Kür der Paare" in der ARD, eine 60 Minuten lange Sendung allerdings auch erst um Mitternacht zwischen 23:03 und 00:04 Uhr.
§ Am Donnerstag war dann im Verteilungsproporz zwischen ARD und ZDF das „Zweite“ mit der Berichterstattung dran: Als die Sensation mit der Bronze-Medaille von Stefan Lindemann in der Dortmunder Westfalenhalle schon spürbar „in der Luft lag" und die mit 9.000 Zuschauern ausverkaufte Westfalenhalle brodelte, diskutierten die Gewaltigen des ZDF doch tatsächlich darüber, ob man live kurz in die Westfalenhalle schalten sollte, wo Amerikaner und Kanadier schon lange aktuell mit dabei waren. Doch dann scheuten sich die Programmmacher des ZDF vor ihrer eigenen Courage und gingen doch nicht nach dem "heute-journal" live nach Dortmund – eine Brüskierung aller Sportinteressierten. Den Zusammenfassungsbericht im ZDF nach Mitternacht dann zur Schlafenszeit, über die Kür der Herren und den Erfolg von Stefan Lindemann, sahen immerhin noch 630.000 Zuschauer.
§ Fast 2,0 Millionen Zuschauer verfolgten dann am Freitag, wiederum zur Nachtzeit, von 22:15 – 23:16 Uhr vor den ARD-Bildschirmen den überraschenden Gewinn der Bronzemedaille der Berliner Eistänzer Kati Winkler und René Lohse, die somit für beste TV-Präsenz sorgten.
Ein würmerfressender
Daniel Kübelböck in „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus" hatte zwar eine
Einschaltquote von 10,07 Mill. zur Prime-Time für RTL „herausgeholt“ – aber
müssen sich deshalb Sportler, wie der Ex-Hochsprungleichathlet Carlo Thränhardt,
erst so erniedrigen und bei solchen Extrem-TV-Shows mitmachen, um in den
Medien einmal beachtet zu werden?
Muss ein
Multi-Weltmeister und Mehrfach-Olympiasieger im Rodeln wie Georg Hackl erst an
einer Jux-Veranstaltung, wie der „WOK-Weltmeisterschaft“ des Medientalents
Stefan Raab teilnehmen, um einmal mit seiner Popularität ein paar Euro zu
verdienen?
Tanja Szewczenko
wurde als Deutsche Meisterin im Eiskunstlaufen und als Repräsentantin
Deutschlands bei Grand-Prix`s, EM`s und WM`s von der Presse ignoriert, sie wurde
erst dann „berühmt“, als sie als nackte Ex-Eisprinzessin im Playboy zu sehen
war.
Vor der WM in
Dortmund hat keiner in der deutschen Presselandschaft über den Deutschen Meister
Stefan Lindemann vor-berichtet – da anscheinend Eiskunstlaufen zu
uninteressant ist. Das einzige was vor der WM von BILD über BUNTE bis zu
Schreinemakers breitgetreten worden war, war das Thema „Eisprinzessin als
Aschenputtel" (nämlich dass die diesjährige Deutsche Meisterin, die 20-jährige
Annette Dytrt, sich mit Putzen in einem Münchner Kindergarten ein Taschengeld
dazuverdient).
Was in den Medien
also zählt, sind nur noch Negativ-Schlagzeilen. Vielleicht ist dieser Leserbrief
ja eine Negativ-Schlagzeile über die Berichterstattung der
öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten wert.
Ulrich Giesen,
Dipl.Ing., Neuss, Vorstand des Neusser Schlittschuh-Klub
e.V.
Antwort vom der ARD vom 1.4.2004 auf diesen Leserbrief, der vorab der ARD-Chefredaktion zugestellt wurde:
Öffentlich-rechtliches Fernsehen ist ein Drahtseilakt. Damit die Gebührenzahler den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch weiterhin finanzieren wollen, muss es ein Ziel unserer Arbeit sein, den Bedürfnissen unseres Publikums möglichst umfassend gerecht zu werden. Die Zuschauer zahlen nicht nur dafür, dass Das Erste seinen Informationsauftrag im Bereich der aktuellen Sportereignisse wahrnimmt. Diese Aufgabe ist selbstverständlich sehr wichtig, aber sie ist nur ein Teil des Programmauftrags. Daher können wir auch in Zukunft nur eine Auswahl von Sportereignissen im Ersten übertragen und auch nicht immer die beste Sendezeit zur Verfügung stellen.
Petra Putz
ARD-Zuschauerredaktion
Erstes Deutsches Fernsehen